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Beeindruckende Architektur in Bielefeld - Blick ins Ratsgymnasium

Besondere Häuser in Bielefeld - Teil 3

Fotos © Wolfgang Rudolf

Wer die Bibliothek der ältesten Schule Bielefelds betritt, fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. Beim Rundgang durch die Schule gibt's viel zu entdecken, wie den alten Luftschutzbunker.

Bielefeld. Ein bisschen wie Hogwarts, die Zauberschule von Harry Potter: So beschreiben einige Schüler das Ratsgymnasium, dessen ältester Teil der im Weserrenaissance-Stil erbaute Grest’sche Hof ist. Aber nicht nur von außen beeindruckt das Gebäude. In der ältesten Schule Bielefelds gibt es so einige Schätze zu entdecken.

Vielleicht am beeindruckendsten ist die alte Bibliothek, die sich im Zentrum des Grest’schen Hofes befindet. Wenn man den Raum betritt, die Sonne durch die Fenster strahlt, die die insgesamt rund 30.000 Werke in ein besonderes Licht stellt, fühlt man sich in eine andere Zeit - oder nach Hogwarts - versetzt. Goethe, Schiller, Shakespeare, Voltaire, mittelalterliche Handschriften, politische, wissenschaftliche und historische Werke und Schautafeln: "Die Sammlung ist unglaublich vielseitig", sagt Schulleiter Hans-Joachim Nolting. Sie setzt sich zusammen aus dem Teilbestand der Bibliothek der Bielefelder Franziskaner, die die Schule nach Auflösung des Klosters bekommen hat, dem Erbe des Bonner Historikers Professor Johann Wilhelm Loebell (1786-1863), der 1866 der Schule - nach Durchführung einer Ausschreibung - überraschend seine Gelehrtenbibliothek mit fast 7.000 Bänden vererbt hat. Auch ein Erstdruck eines Lutherbriefes von 1530, von dem weltweit nur noch fünf Exemplare existieren, gehört zum Bestand.

Auch der alte Luftschutzkeller im Kellergewölbe des Grest’schen Hofes - 1585 als Herrenhaus des Bielefelder Bürgermeisters Caspar von Greste erbaut - ist noch erhalten. Ebenso dort alte Kennzeichnungen an den Wänden, wie "Ausgang", "Schleuse", "Schutzraum für 14 Personen" oder "Notabort", der hinter einer schmalen alten Holztür liegt. Auch die drei alten Eisenstufen und die Klappe gegen Granatsplitter, hinter der ein Fluchtfenster hin zum Kunsthallenpark liegt, existieren noch.

Ein Blickfang auf dem Dach des Gebäudes ist der Turm. "Hier kann man aber nicht rein, da ist nur der Schornstein eingebaut", berichtet Nolting. Die oberen Teile der alten eisernen Spitze mussten vor einigen Jahren aus Sicherheitsgründen abgebaut werden und zieren nun halbiert die Treppenaufgänge im Teil des Gymnasial-Anbaus von 1870. Ein Foto der Turmspitze, das auf eine Art große Leinwand gezogen ist, dient als Schallreduktion. Die genaue Gebäudegrenze zum Grest’schen Hof ist auf dem Flur gegenüber dem Sekretariat durch freigelegte Mauersteine sichtbar gemacht. Auch im Keller der Schule wurden verputzte Stellen freigelegt, um die verschiedenen Baumaterialien der damaligen Zeit, unterschiedlich bearbeitete Sandsteinarten, zu zeigen und zu dokumentieren.

Im alten Dachboden des Hauptgebäudes trifft Historie auf Moderne. Dort wurde ein großer Kunstraum geschaffen, in den über die Dachflächenfenster von vier Seiten Tageslicht fällt. "Das, was hier wie Stützen aussieht, sind die verkleideten Träger der Dachkonstruktion, die die Decke der Aula halten, ein Hängesprengwerk", erklärt Nolting. Hier, und auch in der ehemaligen Abstellkammer, die heute ausgebaut als Vorbereitungsraum für die Kunstlehrer dient, sind noch hölzerne Materialschränke, Tische und Stühle im Einsatz, die vermutlich aus der Zeit um 1900 stammen.

Messingleuchter der Bielefelder Firma Willeke, ein weiß lackiertes, geschwungenes Treppengeländer vom Erdgeschoss bis unters Dach wie in einer Jugendstilvilla, die alte Orgel und die Kunstsammlung in der Aula: Überall im Ratsgymnasium zeugen Elemente von der Geschichte der Schule, die 2008 offiziell 450-jähriges Bestehen feierte. Ratsgymnasium heißt die Schule aber erst seit 1964. "Wir haben ein besonderes Gebäude mit vielen historischen Details, sind auf der anderen Seite aber auch eine hochmoderne Schule", ergänzt Nolting.

Ivonne Michel, erschienen unter NW+ am 09.08.2020