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Bedeutende Ereignisse werfen bekanntlich ihre Schatten voraus. Auch für die zehn diesjährigen "Franzosen", die schon bei den Vortreffen die Einmaligkeit dieser Fahrt unter Beweis stellten: Zum ersten Mal in der Geschichte der Frankreichfahrten am Ratsgymnasium wurde die Flut von Referaten auf französisch bewältigt, was dieser Phase schon eine weit "französischere" Stimmung verlieh als deutsche Referate. Hier in Bielefeld gab es also allgemeine Hintergrundinformationen, zum Beispiel über die Gotik, die auf unserer Fahrt eine große Rolle spielen sollte, den Jugendstil in Frankreich, die Geschichte der Städte, die als große Reiseziele auserwählt waren, und das Leben der Künstler, deren Werke wir sehen wollten. Doch grau ist jede Theorie ­ und hart die Praxis.


Am 23. September um 0:57 Uhr fuhr ein Zug in Richtung Frankreich; nicht mit einem Taxi, sondern mit der Eisenbahn über Paris nach Amiens. Dort wurden wir bereits erwartet: von der Kathedrale, einer der schönsten gotischen Kathedralen, die es gibt. Und was wäre Amiens ohne seine Kathedrale? ­ Naja, vielleicht "das kleine Venedig des Nordens" mit den dreizehn Armen der Somme im Norden der Stadt oder "la ville Jules Verne" oder einfach ein gemütlicher Ort im Norden Frankreichs. Am nächsten Morgen ging's quer durch die Stadt: Einer der ersten Glockentürme Frankreichs und die "Hortillonnages" waren nur zwei der Stationen auf unserem Weg.

 

Das war's auch schon in Amiens, der Hauptstadt der Picardie ­ am Abend hatten wir ein neues Ziel: Paris. Kaum waren wir in unserem "Hostel" angekommen, ging's auf nach Montmartre zu Sacre-Coeur. Die nächsten Tage waren natürlich voll an Programm: Die Besichtigung von Notre-Dame de Paris inklusive Blick über Paris von den Türmen aus, die Sainte-Chapelle und die Conciergerie im ehemaligen Palais de la Cité ergaben mit den "Fouilles" die Einheit "Ile de la Cité". Und es war nicht schwer, uns während der folgenden Tage von der Unerschöpflichkeit der kulturellen Hauptstadt Europas zu überzeugen: Das Musée Rodin, die Orangerie mit Monets Seerosenbildern, das Musée d'Orsay und das Picasso-Museum im Marias bildeten die künstlerische Grundlage unserer Fahrt. Der Invalidendom mit obligatorischer Verbeugung vor Napoleon, die Schloßanlage Versailles, der Eiffelturm, der Louvre, der Arc-de-Triomphe, die Grande Arche in der Défense, das Immeuble-des-Rapports und die erste gotische Kathedrale Saint Dénis ergänzten die Fahrt auf architektonischer und geschichtlicher Ebene. Nicht zu vergessen: die alltäglichen Metro-Fahrten, die ab und zu mit Diskussionen über das Thema belebt wurden, das wir auch in der französischen Presse verfolgten, den Bundestagswahlen in Deutschland.

 

Die letzte Station, Reims, hatte es nach unserem vielfältigen Aufenthalt in Paris natürlich auch nicht leicht. Doch der Abschluß war gelungen: Zur Abrundung der Gotik die Kathedrale, am nächsten Morgen die Besichtigung der Champagner-Kellerei Veuve-Clicquot und ein Stadtrundgang mit Besuch der Basilika waren die letzten Höhepunkte unserer Fahrt.


Bei all diesen Unternehmen kam es natürlich auch immer wieder zu Situationen, in denen man uns ein Fragezeichen von der Stirn ablesen konnte. Was ist der Unterschied zwischen zwölf und sechzehn, wenn es sich um die Speichen der Querschiffrosen von Notre-Dame de Paris dreht? Mein Tip: Man prüfe genau die Himmelsrichtungen. Wo sind die klassizistischen Säulen an der Südfassade des Louvre, die die Wiederaufnahme der antiken Elemente in der architekturgeschichtlichen Epoche verdeutlichen? Und mit der Anzahl der Rippen des Kreuzrippengewölbes in Saint-Denis, das war auch so eine Sache.


So war der Gesprächsstoff für die Abende gesichert, die wir meist gemeinsam gestalteten. Oft gingen wir zusammen essen, eine Unternehmung, die durch das gemeinsame Backen und Verkaufen von Waffeln in der Schule in den zwölf Monaten vor unserer Fahrt finanziert werden konnte.

 

Bei unserer Ankunft in Bielefeld nach einer kalten Nacht, da in unserem Zug die Heizung ausgefallen war, wurden wir vom typischen Bielefelder Wetter empfangen. Da konnt' ich nur empfehlen: "Get to France", "Mit einem Taxi nach Paris", "Non, je ne regrette rien" und "N'oublie jamais".

Georg Grünhoff

Die Einzigartigkeit dieser Fahrt drückte sich schon in der Teilnehmerzahl aus: nur 8 Schüler sollten an dieser Fahrt teilnehmen. Diese 8 Schüler setzten sich aus dem Miniatur-Französisch-LK und einem Ex-Französisch-Grundkursschüler zusammen, dazu kamen noch unsere 2 Begleiterinnen Frau Sindermann und Frau Basista. Daher kamen wohl auch die belustigenden, geradezu verspottenden Kommentare aller Außenstehenden, die sich eine Fahrt unter diesen Bedingungen nur als "langweilig" vorstellen konnten. Daß diese Fahrt alles andere als "langweilig" wurde, bewiesen wir während der 11 Tage in Frankreich, die wir größtenteils in Paris und kurze Zeit in Reims und Amiens verbrachten.

Allerdings unterschied sich dieser Ausflug nicht nur in der Teilnehmerzahl zu anderen Frankreichexkursionen. Allein die Vorarbeit, die in Referaten der einzelnen Teilnehmer steckte, verdient das Wort "bombastisch". Während unserer Vorbereitungsphase entwickelten wir uns wohl alle zu kleinen Spezialisten. Sei es, daß man jedes kleinste Detail einer Kathedrale mit ihrem französischem Sachbegriff bezeichnen kann oder daß man jede Straße einer Stadt mit ihren Besonderheiten par coeur kennt. Unsere Referate kennzeichneten somit auch das Programm der Fahrt. Unvergessliche Unternehmungen waren wohl die Besichtigung der Kathedrale in Amiens, wo wir gelernt haben, daß alle Wege des Labyrinthes zum Schokoladenladen führen, die Entdeckung eines Jugendstilhauses eben dort, der schwindelerregende Blick von der Notre Dame, das Rodin-Museum, Versailles, die richtige Interpretation einer ganz besonderen Haustür und der Besuch einer Champagnerie in Reims... Das ist wirklich nur ein kleiner Ausschnitt des durchgeführten Programms.

Was die Fahrt aber wirklich so einzigartig erscheinen läßt, ist wohl die persönliche Note eines jeden Teilnehmers und aller Geschehnisse, die vorher nicht auf dem Programm fixiert wurden, z.B. der Besuch der Sacre-Coeur, aus dem der Verlust einer Schraube aus Frau Basistas Brille hervorging und dann der Verlust der ganzen Frau Basista folgte, was nun wieder zur Konsequenz hatte, daß wir ohne unsere Frankreichexpertin uns genauso leicht verliefen, wie diese ohne ihre Brille. Oder der Anblick des Hotel-"Zimmers", das den Garcons zugeteilt wurde. Es ähnelte einem Abstellraum während der Nachkriegszeit, da die Betten irgendwie herumstanden und die Tapete teilweise heruntergerissen war. Aber wir fühlten uns in unserem Hotel sehr heimisch, da gleich nebenan ein französischer "Hassan" gewohntes Ambiente und Essen anbot. (Man kann sich ja schließlich nicht immer von Baguette und Aprikosenmarmelade ernähren.)

Allerdings konnten wir uns auch durch unsere tüchtige Waffelbackerei öfters ein mehrgängiges Essen in einem französischem Restaurant gönnen. Abends waren wir meist nicht mehr allzu lange auf den Beinen, da diese schon den ganzen Tag über sehr strapaziert wurden, so daß sogar wandererfahrene Personen sich dagegen sträubten, an der Bastille umzusteigen, um dann in der Linie zu landen, die nach wenigen Stationen gesperrt war und uns so zu einem noch größeren Umweg zwang. Nach der Fahrt blieb der Eindruck haften, daß die meisten Teilnehmer äußerst zufrieden waren, da auf dieser Fahrt Spaß, Kultur und freundliche zwischenmenschliche Begegnungen in der richtigen Portion miteinander verbunden wurden.

Nasi Kiani