„Gesundheit ist“, nach einer Definition der Weltgesundheitskonferenz (WHO Charta 1986), „mehr als die Abwesenheit von Krankheit“ und wird in einem umfassenden, ganzheitlichen Sinn als „körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden" verstanden1) .
Gesundheitsförderung in der Schule hat demnach zum Ziel, gesunde Lern- und Arbeitsbedingungen in der ganzen Schule zu schaffen um somit zur Gesundheit aller Beteiligten beizutragen. Der Schule kommt die Aufgabe zu, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, Verantwortung für die eigene und die Gesundheit anderer übernehmen zu können.
1)Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung 1986 zit. nach: U. Barkholz, G. Israel u.a.: Gesundheitsförderung in der Schule – Ein Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer, Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest 1997
1 Der Weg zur gesundheitsfördernden Schule
Das Ratsgymnasium ist seit 1994 „GimS – Schule“ und damit zunächst als einziges Gymnasium in Bielefeld am Aufbau eines lokalen Netzwerkes zur „Gesundheitsförderung in und mit Schule“ (GimS) beteiligt gewesen.
Mittlerweile (seit 2001) ist das Ratsgymnasium eine der 77 OPUS–Schulen in Nordrhein-Westfalen. OPUS ist ein Verbund von Schulen und verschiedenen außerschulischen Partnern, die sich unter dem Leitmotiv von Gesundheitsförderung in der Schule in ein Netzwerk einbringen. Alle OPUS–Schulen formulieren Schulgesundheit zu einer ihrer Leitideen und sehen die Vernetzung als einen geeigneten Weg an, Erfahrungen mit anderen Schulen auszutauschen. Die Schulen können Fortbildungs-, Informations- und Unterstützungsangebote des „offenen Partizipationsnetzes und Schulgesundheit“ (OPUS) für sich nutzen.
Um das Ratsgymnasium zu einem gesundheitsfördernden Lebens-, Arbeits- und Erfahrungsraum zu machen, hat eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Lehrern, Eltern und Schülern seit 1994 verschiedene Projekte initiiert und realisiert. Als Beisiele seien genannt: Projekte zur gesunden Ernährung, Bewegungsförderung, verschiedene Projekte zur Verschönerung der Schule (Gestaltung der Klassenräume und Flure), Entwicklung des Konzepts „Lernen lernen“ und Herausgabe eines entsprechenden Hefts an alle Schüler, Rats-Hausaufgabenheft, Kurse zur Selbstbehauptung und zum Konflikttraining für Jungen und Mädchen etc. .
Im Rahmen einer langfristigen Fortbildung aller Mitglieder der GimS-Gruppe wurde 2001 ein umfassendes Konzept zur Gesundheitsförderung im o.g. Sinn entwickelt. Dabei sind bisher getrennt arbeitende Ansätze der schulischen Gesundheitserziehung (Sport, Ernährung, Suchtprävention, Gewaltprävention etc.) konzeptionell zusammengeführt worden. Bereits erfolgreich durchgeführte Unterrichtsblöcke wurden berücksichtigt und mit neu zu entwickelnden Einheiten verbunden (Erläuterungen zum Konzept vgl. 2.1 u. 2.2). Dem entsprechend ergaben sich weitere Arbeitsschwerpunkte: Entwicklung einer Konzeption zur Persönlichkeitsstärkung und zum sozialen Lernen in der Sexta, Umsetzung von suchtmittelunspezifischen Präventionsprogrammen (ALF, LIONS QUEST) sowie die Organisation der Ausbildung von Streit–Schlichtern.
Die weiteren Arbeitsschwerpunkte werden sich in der nächsten Zeit auf die Mittelstufe beziehen.
2 Ausgangssituation und Zielsetzungen der Gesundheitsförderung (Ich – Stärkung, soziales Lernen und Konflikttraining)In der Sekundarstufe I aller Schulformen gewinnt das „Soziale Lernen“ immer größere Bedeutung. Es ist in den Richtlinien und Lehrplänen aller Schulfächer als Erziehungsziel ausdrücklich benannt. Ursache dafür ist wohl die Erkenntnis, dass Schülerinnen und Schüler nur über den Erwerb und die Stabilisierung sozialer Kompetenzen in der Lage sind, konzentriert und diszipliniert dem Unterricht zu folgen und entsprechende Leistungen zu erbringen. Doch im Hinblick auf eine Werte- und Normenerziehung und damit auf eine intakte Beziehungsebene weisen Kinder zunehmend Defizite auf. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Situation der Familie ebenso verändert wie das Freizeit- und Konsumverhalten der Kinder, wobei vor allem Letzteres für viele eine deutlich höhere Wertigkeit erhalten hat. Hinzu kommt, dass Kinder zunehmend in einer Gesellschaft aufwachsen, in der vor allem individuelle Leistung zählt.
Als eine Auswirkung in den Schulen ist eine zunehmende Akzeptanz von aggressivem Verhalten und Gewalt feststellbar; darüber hinaus fallen Schülerinnen und Schüler immer wieder durch mangelnde Kommunikationsfähigkeiten sowie durch Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten auf. Andere reagieren möglicher Weise mit der Entwicklung verschiedenster „Süchte“ auf zunehmende Belastungen, oder sie versuchen diese durch Zuflucht zu Hilfsmitteln - wie beispielsweise Drogen - zu kompensieren.
Diese Bedingungen wirken sich nicht nur hemmend auf die Vermittlung und die Aufnahme von Wissen aus, sondern verpflichten die Institution Schule im Rahmen ihres Erziehungsauftrages dazu, die Fähigkeiten der Selbst- und Sozialkompetenz von Schülerinnen und Schüler gezielt zu fördern.
Daraus ergibt sich für ein modernes Gymnasium die Notwendigkeit, die persönlichen und sozialen Kompetenzen einerseits im Rahmen spezieller Projekte und Lernorte, sowie anderseits in unmittelbarer Verbindung mit den Unterrichtsinhalten zu vermitteln. Inhaltlich gilt es Lernprozesse zu fördern, die die Kinder und Jugendlichen befähigen:
ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen, ohne die eigene Person über zu bewerten,
- die eigenen Wünsche und Bedürfnisse den Anforderungen der Umwelt anzupassen,
- sich mit den eigenen Gefühlen auseinander zu setzen und sie in geeigneter Weise anderen mitzuteilen,
- Spannungen und Konflikte auszuhalten, sie durchzustehen und auf eine produktive Lösung hinzuarbeiten,
- in der sozialen Interaktion Werte wahrzunehmen, zu verstehen und sich gemeinsam darüber zu verständigen.
Im folgenden Konzept sind diese Zielsetzungen konkretisiert. In der Erprobungsstufe soll eine solide Basis geschaffen werden, auf der dann in den folgenden Jahren aufgebaut werden kann. Dieses Konzept wurde im Laufe der Zeit immer wieder verändert und erweitert. Zur Zeit gestaltet es sich wie folgt:
3 Konzept zur Gesundheits- und Lebenskompetenzförderung in der Sekundarstufe I (Oktober 2004)
Klasse | bereits implementiert | durchgeführt, aber nicht implementiert | Inhalte | Fachbezüge | |
5 |
Klassenleitertage in der 1. Schulwoche |
Persönlichkeitsstärkung I Wer bin Ich? Wir lernen uns kennen / Klassengemeinschaft Gruppendruck widerstehen Sachinformation zum Rauchen |
Klassenleitung Deutsch Religion Sport |
Elternabend und Elternbrief I „Lernen lernen“ Schulkonzept: „Persönlichkeitsstärkung“ |
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6 | Streitschlichtung Streitschlichterprogramm nach Dr. Karin Duden |
Persönlichkeitsstärkung II Klassenklima Perspektivenwechsel Umgang mit Angst und Frustrationen Info zu Rauchen und Alkohol |
Klassenleitung Biologie Sport |
Elternbrief II Vorstellung des Streitschlichter- Programms |
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7 | Suchtprävention Drogen-Sucht-Hilfsmöglichkeiten- Rechtliche Aspekte |
Selbstsicherheitstraining Wettbewerb: |
Persönlichkeitsstärkung III Stärkung des Selbstbewusstseins und Selbstvertrauens Nein-sagen-lernen Förderung der Konfliktfähigkeit und Entwicklung eigener Standpunkte Sachinformationen Wertebildung |
Klassenleitung Politik Religion Sport |
Elternabend und Elternbrief III Informationen zu Selbstbehauptung, Konfliktlösung und Sucht bei Jungen und Mädchen in Kooperation mit außerschulischen Partnern |
8 | Wettbewerb: Be smart – don’t start Europäischer Wettbewerb gegen den Einstieg ins Rauchen |
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9 | Ausbildung von Streit-Schlichtern Kooperation mit außerschulischen Partnern Moderation von Schlichtungsgesprächen |
Persönlichkeitsstärkung IV Konfliktlösungsstrategien Gruppendruck und Grenzsituationen meistern Kriterien einer eigenen Entscheidungsfindung |
Biologie Deutsch Religion Sport |
Elternbrief IV oder Elternabend |
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10 | Religiöse Studientage | Ausbildung von Streit-Schlichtern Kooperation mit außerschulischen Partnern Moderation von Schlichtungsgesprächen |
Persönlichkeitsstärkung V - Entwicklung eigener Zukunftsvorstellungen - Meine Stärken – meine Schwächen - Zukunftswerkstatt |
Deutsch Geschichte Politik Religion Sport |
Elternbrief IV oder Elternabend |
4 Ich–Stärkung und soziales Lernen in der ErprobungsstufeSeit 2001 ist es gelungen, jeweils im zweiten Halbjahr der Sexta / 5. Klasse eine Stunde neu einzurichten, sodass in Verbindung mit der Klassenleitungsverfügungsstunde Doppelstunden entstanden, in denen gezielt soziale, kommunikative und emotionale Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler gefördert werden konnten.
Grundlage dieser Unterrichtsstunden bildet das sogenannte schulische Lebenskompetenzprogramm
ALF (Allgemeine Lebenskompetenzen und Fertigkeiten). Es verbindet die obengenannten Zielsetzungen mit den aktuellen Erkenntnissen der Suchtpräventionsforschung. Basis dieses Programms ist die Annahme, dass sich langfristig der Substanzmissbrauch bei Heranwachsenden durch den Aufbau von Schutzfaktoren und Schutzfertigkeiten und einer angemessenen Einstellung gegenüber den Substanzen verhindern bzw. deutlich verzögern lässt, um Gewohnheitskonsum zu vermeiden.
Kennzeichnend für ALF sind Einheiten zu Themen wie: sich wohl fühlen; Gefühle ausdrücken; Training von Selbstsicherheit, Kommunikations- und Problemlösungsfertigkeiten; Übungen zur Verbesserung des Selbstbildes und zur Standhaftigkeit gegen soziale Beeinflussung (also substanzungebundene Inhalte), aber auch adäquate Informationen zum Rauchen und zu Alkohol.Diese und ähnliche Stundenthemen lassen jedoch nicht immer sofort erkennen, mit wie viel Spaß und Engagement, aber auch Ernsthaftigkeit Schülerinnen und Schüler bei der Sache waren, wenn es z.B. darum ging, die Eigenarten und Fähigkeiten der Mitschülerinnen und Mitschüler auf spielerische Art und Weise zu entdecken.
Den freundlichen Umgang miteinander im Rollenspiel zu üben oder Partnerarbeit zu Themen, die persönliche Offenheit erwarteten, zu praktizieren, hat Schule einmal von einer anderen Seite gezeigt. Die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler, sich zu öffnen, Betroffenheit zu zugeben und auch zu zeigen war groß. Beeindruckend war für mich, in welcher Weise Kinder diesen Alters mit Hilfe geeigneter Materialien in der Lage sind, über sich nachzudenken, die dabei gewonnenen Erkenntnisse produktiv umzusetzen und das Ergebnis dann zu präsentieren.Erheblich profitiert hat von dieser Arbeit die Klassengemeinschaft. Wenn ein Schüler - um nur ein Beispiel zu nennen - Stärken und Schwächen seiner Mitschülerinnen und Mitschüler kennt und umgekehrt, so wird das Verständnis im Umgang miteinander gefördert.
Ebenso wird durch den ‚anderen Unterricht’ ein viel intensiveres Miteinander zwischen Klassenlehrern und Schülern ermöglicht und damit auch grundsätzlich die Lernlust gesteigert.
Inwieweit darüber hinaus diese Form der Suchtvorbeugung eine Ich–Stärkung und damit eine Stabilisierung des Selbstwertgefühls der Schülerinnen und Schüler erreicht, ist nunmehr schwer abschätzbar. Positive Rückmeldungen aus den letzten Jahrgängen von Schülern und Eltern bestätigen jedoch die eingeschlagene Richtung und machen eine entsprechende Festigung der gelegten Basis in den folgenden Jahrgängen erforderlich.