von Florian Eick (OI)
Bereits das Vorwort unseres selbst erarbeiteten Referats-Readers mit allen zu besuchenden Orten und historischen Denkmälern ließ einiges erahnen. „8 Tage, 7 Nächte, 5 verschiedene Städte“ hieß es dort. Eine bis dato neben den etablierten Fahrten nach Griechenland und Giglio einmalige Fahrt – sozusagen ein Pilotprojekt. Normann Graeser und Dr. Johannes Altenberend ließen bereits im Spätsommer 2010 verlauten, dass sie eine Fahrt planen, die zumindest den kognitiven Rahmen des zuvor dagewesenen um einiges sprengen wird. Im Rückblick auf diese Fahrt, die ein knappes Jahr später realisiert wurde, bestätigen wir alle, dass sich die Anstrengungen von Seiten der beteiligten Lehrer und der beteiligten Schüler gelohnt haben.
Dresden, Breslau, Prag – auf diversen Organisationszetteln auch gerne als „Studienfahrt Osteuropa“ betitelt, lässt durchklingen, wie dicht gespickt das Programm in acht Tagen sein kann, wenn alle an einem Strang ziehen.
Dresden
Am 14. Juli stachen wir also in See: Ein kulturell-historischer See zwischen DDR-Regime, Zerstörung, Wiederaufbau, Flucht, Vertreibung, Kommunismus, vielen Kirchen und Museen und herrlichen Landschaften der sächsischen Schweiz. Zuerst besuchten wir die sächsische Landeshauptstadt Dresden. Von 1961 bis 1989 war sie in der DDR verkommen, kulturell zerstört und glanzlos geworden – heute durch Milliardeninvestitionen zum Großteil wiedererbaut, saniert und prachtvoll wie nie zuvor. In drei Tagen Dresen besuchten wir den Neumarkt, die 2005 wiedereröffnete Dresdner Frauenkirche, die Galerie der alten Meister samt der „Sixtinischen Madonna“ von Rafael, die drei großen Elbresidenzen, so wie das etwas außerhalb gelegene Prachtschloss Pillnitz. Jeder dieser Orte wurde inhaltlich durch jeweils einen Schüler vorbereitet, schriftlich ausformuliert und als Gesamtwerk in einem Reader gesammelt, der jederzeit jedem Schüler vorlag. Die Bedeutung der Stadt Dresden als kultureller Schwerpunkt Sachsens wurde schnell verstanden – sicherlich auch begünstigt durch hervorragend-sonniges und warmes Wetter.
Der Höhepunkt dieser drei Tage in Dresden kam jedoch unverhofft. Durch einen glücklichen Zufall hatten wir in der Dresdner Neustadt den ehemaligen sächsischen Innenminister Heinz Eggert (CDU) getroffen, der bereits im März 2011 am Ratsgymnasium zu Besuch war und damals über das Thema „DDR-Ideologien“ berichtete. Heinz Eggert lud uns in den Sächsischen Landtag ein, wo er am nächsten Tag mit Dr. Thomas de Maiziere (CDU) zusammentraf. Er habe mit ihm am nächsten Tag ein Interview auf der Dachterrasse des sächsischen Landtages – direkt an der Elbe nahe der Semperoper gelegen. Die Gruppe willigte ad hoc ein und wir trafen uns mit Eggert in den Abendstunden des darauf folgenden Tages im Landtag. Er führte uns durch den Landtag, stellte uns das Filmteam vor, welches für die Sendung „Eggert trifft“ ein Interview aufnahm und bat uns kurz abzuwarten. Nach wenigen Minuten fuhren zwei große, schwarze Limousinen vor. Der Minister hatte uns nicht warten lassen. Nach dem Interview zwischen Eggert und de Maiziere nahm sich der Minister viel Zeit für unsere Fragen zu Themen wie der Meuterei auf der Gorch Fock oder den Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien und plauderte mit uns ebenso gerne über privates. Als die Sonne allmählich unterging und wir vor der Kulisse der Dresdner Altstadt ein Bild mit dem Verteidigungsminister machten, wurde uns allen klar, dass der Auftakt zu einer ganz besonderen Studienfahrt gelegt war.
Mit Thomas de Maiziere (unten Mitte 3. v.l.), Heinz Eggert (unten Mitte 2. v.l.), Normann Graeser (oben links), und Dr. Johannes Altenberend (unten 1. v.l.) auf der Dachterrasse des sächsischen Landtages in Dresden.
Am darauf folgenden Tag fuhren wir früh morgens am Elbufer entlang und lauschten einem Vortrag zu den Elbresidenzen. Von links nach rechts betrachteten wir die italienisch anmutende Albrechtsburg, das französisch-barocke Lingnerschloss sowie das heutige Fünf-Sterne-Hotel Schloss Eckberg im englischen Tabor-Stil. Die Prachtbauten entlang der Elbe bis tief in den Stadtteil „Weißer Hirsch“ beeindruckten uns alle. Im Anschluss besuchten wir die Sommerresidenz August des Starken, Schloss Pillnitz bei Dresden. Schloss Pillnitz ist im Peking-Stil erbaut und die gesamte Anlage lässt asiatische Bauweisen und Stile durchblicken. Dieses Bauwerk ist in Europa als einzigartig anzusehen. Nachdem wir Schloss Pillnitz in seiner vollen Pracht bewundert hatten, führte uns unsere Reise diesmal unter dem Thema „Altstadtsanierung“ und „Teilung und Zusammenwachsen“ nach Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands. Wir besichtigten Görlitz und insbesondere die Grenze, die seit 1945 die Lausitzer Neiße bildet. Durch das Schengener Abkommen ist die dortige Brücke über die Neiße für jeden ohne Passkontrolle zu passieren und so gingen wir mehrfach zwischen deutschem und polnischem Staatsgebiet hin und her.
Breslau
Unsere Weiterfahrt führte uns nun nach Wroclaw, zu deutsch Breslau. Breslau ist mit 630.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Polens und kurz vor unserer Fahrt zur Kulturhauptstadt Europas 2016 gewählt worden. Bis 1945 gehörte diese Stadt zum Deutschen Reich. In Breslau angekommen besuchten wir den „Breslauer Ring“, einen mittelalterlichen Marktplatz, der heutzutage den Kern der Fußgängerzone bildet. Die Bebauung rund um den Ring erfolgte in verschiedenen Stilepochen, im Zentrum stehen das alte und das neue Rathaus sowie einige Bürgerhäuser ringsherum. Wir begutachteten die einzelnen Seiten des Ringes von der „Sieben-Kurfürsten-Seite“ bis zur „Goldenen-Becher-Seite“ und waren von den prunkvollen Bauten beeindruckt. Das alte Rathaus, welches als Wahrzeichen Breslaus gilt, überzeugte uns im Anschluss durch seinen wundervollen spätgotischen Bau. Im Keller des Rathauses befindet sich, so sah es zumindest die Schülerschaft, das Herzstück des Baus. Der „Schweidnitzer Keller“ ist im Jahre 1303 zum ersten Mal namentlich als „cellaria civitatis“ erwähnt worden und ist mit seiner über 750 jährigen Tradition die älteste Kneipe Europas. Ein alter Breslauer Spruch besagt: „Wer nicht im Schweidnitzer Keller war, ist nicht in Breslau gewesen.“ Wir waren dort und damit auch mitten in Breslau. Der Schweidnitzer Keller hat aber für die Deutschen noch eine ganz andere Bedeutung. Im Jahre 1813 ist in diesem Keller das sog. „Lützowsche Freikorps“ gegründet worden. Das Freikorps war ein Freiwilligenverband der preußischen Armee in den Befreiungskriegen 1813-14 und lieferte den Deutschen mit seiner schwarzen Uniform, roten Manschetten und goldenen Knöpfen die Vorlage für die heutige Bundesflagge. Ebenfalls in Breslau ansässig und von historischem Wert ist die Universität aus dem Jahre 1505. Damals kam die Idee auf in Schlesien ein „Studium Generale“, also ein Studium welches zwischen kirchlichen und weltlichem Recht, Philosophie und Medizin auch die sieben freien Künste beinhaltet. Wir besichtigten den schönsten und berühmtesten Teil der Universität, die Aula Leopoldina, einen barocken Empfangssaal, welcher für Immatrikulationen und Konzerte genutzt wird. Die Universität zu Breslau brachte in ihrer Geschichte acht Nobelpreisträger hervor, darunter zum Beispiel den Chemiker Robert Bunsen (Bunsenbrenner) und den Entdecker des Planeten Neptun Johann Gottfried Galle. Wir fuhren weiter Richtung Messegelände, wo uns ein weiterer Superlativ der Breslauer Geschichte erwartete. In den Jahren 1911-1913 wurde dort eine Stahlbetonhalle erbaut, welche die bis dahin größte Kuppel der Welt stemmte, die Jahrhunderthalle. Mit seiner Höhe von 42 m und einem Durchmesser von 64 m waren wir alle sehr beeindruckt von diesem Denkmal der Zeitgeschichte und erfuhren dann zusätzlich, dass die Orgel der Jahrhunderthalle in den Jahren nach der Erbauung die größte der Welt war. Heutzutage besitzt die Jahrhunderthalle ca. 6000 Sitzplätze und ca. 20000 Stehplätze. Seit 2006 ist die Jahrhunderthalle Teil des UNESCO Weltkulturerbes.
Als Gründungsort der Stadt Breslau wird die sog. „Dominsel“ angesehen, die das religiöse Zentrum Breslaus bildet. Auf der Dominsel besichtigten wir in einem wahren „Besichtigungsmarathon“ den im 13. Jahrhundert erbauten Dom, die im späten 12. Jahrhundert erbaute Sandkirche und die Martinskirche. Drei sakrale Bauwerke, die auch heute noch von einem großen Teil der Breslauer Besucher wahrgenommen werden.
Von Breslau aus machten wir uns auf Richtung Prag. Den ersten Zwischenstopp legten wir in Schweidnitz ein. In diesem kleinen Ort befindet sich die weltweit größte Fachwerkkirche. Ein solches Bauwerk hatten wir alle zuvor noch nicht gesehen. Den nächsten Zwischenstopp legten wir dann in Kreisau ein. Dort besuchten wir unter dem Thema „Kreisauer Kreis – Widerstand gegen Hitler“ das schlesische Gut Kreisau der Grafen zu Moltke. Ab 1943 wuchs bei vielen Kreisauern die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an einem Staatsstreich und sie bauten enge Verbindungen zu entschiedenen NS-Gegnern (wie z.B. Ludwig Beck, Carl Friedrich Goerdeler, Ulrich von Hassell und Claus Schenk Graf von Stauffenberg ) auf. Unter einem christlichen Leitbild verfolgten die Mitglieder des Kreises das Interesse dem NS-Verbrechen ein Ende zu setzen. Sie waren es, die nach dem 20. Juli 1944 als Mitverschwörer des „Stauffenberg-Attentates“ zum Tode verurteilt wurden. Nach der Besichtigung des Herrenhauses auf Gut Kreisau und einem ausgiebigen Mittagessen, stiegen wir in den Bus und machten uns auf in die „goldene Stadt“ Prag.
Prag
Prag, die „goldene Stadt“, die Residenzstadt, die Kulturhauptstadt Mitteleuropas. Prag als Beispiel einer Residenzstadt in der KuK Monarchie. Wir hatten viel gehört und viel gelesen, doch unser erster Eindruck von Prag waren Plattenbauten und der damit verbundene Vorortcharakter einer Großstadt. Nachdem wir die Hotelzimmer bezogen hatten, fuhren wir am Prager Schloss vorbei hoch auf den Hradschin, einen Berg inmitten der Stadt. Wir stiegen am „Strahov-Kloster“ aus dem Bus aus und hatten einen herrlichen Blick über die gesamte Stadt. Der Vorort-Flair war verzogen und wir waren beeindruckt von dieser unglaublich schönen Stadt. Zu Fuß gingen wir den Hradschin herunter, sahen aus der Ferne die mittlerweile hell angestrahlte Burg mit dem Veitsdom und gingen Richtung Moldauufer. An der Moldau angekommen, gelangten wir auch gleich zum nächsten Wahrzeichen der Stadt – der Karlsbrücke. Über die Karlsbrücke zu gehen bedeutet einen unvergesslichen Eindruck Prags zu erlangen. Links und rechts fließt die Moldau entlang, die Häuser am Ufer sind gold-gelb erleuchtet. Die Karlsbrücke ist bestückt mit ebenfalls angestrahlten Heiligen- und Patronenfiguren – insgesamt 30 an der Zahl. Die im 14. Jahrhundert erbaute Brücke ist 516m lang, 10 m breit und stellt eine für das 14. Jahrhundert bedeutende Ingenieur-Leistung dar. Die Karlsbrücke, die ebenfalls einen tollen Blick auf die Prager Burg verspricht, verbindet die Kleinseite Prags mit der am Ostufer gelegenen Altstadt. Die bedeutendste Figur auf der Karlsbrücke zog sich wie ein Leitmotiv durch unsere Studienfahrt und war auch Anlass für eine schülerinterne Neunamensgebung eines der Lehrkräfte. Da Dr. Altenberend mehrfach geäußert hatte, welch große Sympathie er für den heiligen Johannes (von) Nepomuk übrig hat, nannten die Schüler ihn fortan gerne „Dr. Nepomuk“. Johannes von Nepomuk war ein Priester und Märtyrer seiner Zeit, der gegen König Wenzel IV., der die Kirche und den Klerus unterdrückte, kämpfte. Wenzel ließ ihn 1393 in der Moldau ertränken. 1729 kam es durch Benedikt XIII. zur Heiligsprechung Nepomuks und so besuchen viele die Figur Nepomuks auf der Karlsbrücke. Am nächsten Tag besichtigten wir die Burg, heute Sitz des tschechischen Präsidenten, den Veitsdom, in dem sogar ein paar Mitglieder der Habsburger Monarchie begraben sind, und das goldene Gässchen im Burgareal. Eben dieses Burgareal ist das größte geschlossene Burgareal der Welt und seit dem 9. Jahrhundert auf dem Hradschin ansässig. Mit knapp 1,5 Millionen Besuchern pro Jahr ist die Prager Burg das meistbesuchte Baudenkmal Tschechiens. Dies bekamen wir im Innenhof des Schlosses massiv zu spüren, als es kaum die Möglichkeit gab in Ruhe die Referate vorzutragen, geschweige denn sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Im Veitsdom war dann der Andrang deutlich zu groß, so dass wir das Referat außerhalb des Doms hören mussten. Am Nachmittag besuchten wir das Palais Lobkowicz, ein weiterer Meilenstein Deutscher Geschichte. Am 30. September 1989 ist in diesem ehemaligen Sommerpalais der Familie Lobcowicz Geschichte geschrieben worden: „Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise möglich geworden ist.“ Der Rest des Satzes ging im Jubel von ca. 4000 DDR-Botschaftsflüchtlingen unter. Hans Dietrich Genscher, der ehemalige deutsche Außenminister, spricht den berühmtesten Halbsatz der Weltgeschichte. Seit 1974 dient das Palais Lobcowicz den Deutschen als Botschaft in Prag.
Durch einen massiven Wetterumbruch waren wir gezwungen die nachfolgenden Themen im Bus abzuhandeln. Wir sprachen über einen der größten deutschsprachigen Schriftsteller, Franz Kafka, der ebenfalls in Prag lebte. Von Prag aus hatten wir noch ein besonderes Erlebnis zum Abschluss unserer Studienfahrt vor uns. Familie Lobcowicz, dessen altes Stadtpalais wir ja in Prag besucht hatten, lebt auf einer Burg in Melnik (30km außerhalb von Prag), wo Elbe und Moldau zusammenfließen. Die Familie ist eine der größten Weinanbauer in Tschechien. Wir fuhren auf die Burg, aßen Mittag und tranken ein paar Gläschen des edlen Tropfens der Weinanbaugebiete rund um Melnik. Der Blick auf das Tal und den Zusammenfluss der beiden großen Flüsse ließ ein Zurückdenken an schöne Tage der Studienfahrt, die vielen Erlebnisse, die historischen Feinheiten und die feucht-fröhlichen Abende zu. Gegen Mittag stand die Rückfahrt auf dem Programm, so dass wir am Abend gegen 21.30 Uhr in Bielefeld unsere Zeugnisse entgegen nehmen und uns in die Ferien begeben konnte.
Am Ende bleibt die Erinnerung an eine sehr intensiv und hervorragend durchgeplante Fahrt deren voller Dank unseren beiden Lehrern, Herrn Dr. Altenberend und Herrn Graeser gilt. Ohne ein großes Engagement, ein persönlichen Interesse an so einer Fahrt und dem unbedingten Willen der Durchführung, den die Lehrkräfte voll und ganz an den Tag gelegt haben, diese Fahrt niemals möglich geworden. Für „Osteuropa 2011“ möchte ich mich im Namen meiner Mitschülerinnen und Mitschüler recht herzlich bedanken. Die Erfahrungen und das Gesehene werden uns in sehr guter Erinnerung bleiben. Den ein oder anderen Ort werden wir sicherlich noch einmal besuchen.
Florian Eick
Bielefeld, August 2011